Leuchtturm der Solidarität
Vor 60 Jahren wurde der kongolesische Befreiungskämpfer Patrice Lumumba ermordet. Die Verantwortlichen in den USA, Belgien und der DR Kongo wurden bis heute nicht belangt.
Er ist einer der berühmtesten antikolonialen Freiheitskämpfer Afrikas des 20. Jahrhunderts. Patrice Lumumba war der erste Premierminister der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Das Vorhaben, für sein Land und Afrika auch wirtschaftliche Unabhängigkeit durchzusetzen, bezahlte er am 17. Januar 1961 mit dem Leben. Nun wurde in Belgien eine parlamentarische Untersuchungskommission zum belgischen Kolonialismus eingesetzt. Sie soll auch den Mord an Patrice Lumumba untersuchen.
Für einen Autodidakten ist sein sozialer und politischer Aufstieg bemerkenswert. Nur ein einziges wichtiges Zeugnis konnte Patrice Émery Lumumba vorweisen – nach einem Jahr technischer Ausbildung an der Postschule in Kinshasa (damals Léopoldville). Geboren 1925, durchlief er zwischen 1944 und 1957 eine erfolgreiche Karriere als Angestellter in der belgischen Kolonialverwaltung. Ab 1959 widmete er sich voll und ganz dem Kampf für die kongolesische Unabhängigkeit.
Seine politische Lehrzeit war vielseitig. Lumumba hatte Führungspositionen in Berufsverbänden sowie Vereinigungen zur gegenseitigen Hilfe inne und veröffentlichte in Zeitungen und Zeitschriften Artikel über das aktuelle Geschehen und die Zukunft des Landes. Zudem arbeitete er zwischen September 1957 und Dezember 1959 in der Brasserie du Bas-Congo (Bracongo), einer der größten Brauereien in Kinshasa, als Buchhalter und Werbeleiter.
Als großer Redner und politischer Stratege war Lumumba am 10. Oktober 1958 einer der Gründer und gewählter Interimspräsident der kongolesischen Nationalbewegung (MNC). Diese war die erste und einzige multiethnische politische Partei, die alle Regionen des Kongo vertrat. Nach seiner elektrisierenden Rede auf der Ersten Gesamtafrikanischen Konferenz im Dezember 1958 in Accra, Ghana, erlangte er schnell Bedeutung als nationaler und panafrikanischer Führer.
Aus dem Gefängnis an den Runden Tisch
Nach einem sehr erfolgreichen ersten Kongress der MNC in Kisangani im Oktober 1959 wurde Lumumba unter dem Vorwurf verhaftet, Unruhen geschürt zu haben. In Wirklichkeit waren diese jedoch von belgischen Kolonialbeamten provoziert worden. Lumumba wurde zu sechs Monaten Zwangsarbeit verurteilt und in das berüchtigte Untergrundgefängnis von Likasi (damals Jadotville) in der Provinz Katanga geschickt. Innerhalb weniger Tage nach seiner Inhaftierung kam er dank des einstimmigen Antrags kongolesischer Delegierter bei der Konferenz am Runden Tisch in Brüssel frei. Auf dieser Konferenz fanden zwischen dem 20. Januar und dem 20. Februar 1960 Unabhängigkeitsverhandlungen zwischen der belgischen Regierung und kongolesischen Führern statt. Gleich am ersten Tag machten die Kongolesen die Anwesenheit von Lumumba zu einer nicht verhandelbaren Forderung für den Fortgang der Gespräche.
Die Dinge entwickelten sich sehr schnell, als der Runde Tisch sich auf die Unabhängigkeit für den 30. Juni 1960 einigte. Der Versuch, Lumumba als Regierungschef zu verhindern, scheiterte. Im Unterhaus des Parlaments gelang es ihm, eine politische Koalition mit mehreren anderen Parteien zu bilden, die ihn zum ersten demokratisch gewählten Premierminister und ersten Regierungschef des unabhängigen Kongo wählten. Dem Beispiel Belgiens folgend, bekam das afrikanische Land als unabhängiger Staat ein parlamentarisches Regierungssystem, mit Joseph Kasavubu als Präsidenten und Staatsoberhaupt.
Die Beziehungen zwischen dem Kongo und Belgien verschlechterten sich von Beginn an. Bei der Unabhängigkeitszeremonie am 30. Juni 1960 hielt der belgische König Baudouin eine paternalistische und herablassende Rede, in der er unter anderem sagte, die Unabhängigkeit des Kongo sei der Höhepunkt des zivilisatorischen Werkes seines Ururonkels, König Leopold II.
Obwohl er bei der Zeremonie nicht als Redner vorgesehen war, gab Premierminister Lumumba in seiner improvisierten Aussprache, die zu einem Klassiker der afrikanischen politischen Redekunst und zu einem wichtigen Bestandteil von Lumumbas Vermächtnis geworden ist, die öffentliche Meinung im Kongo wider. Er erklärte, dass die Unabhängigkeit kein Geschenk Belgiens sei, sondern das Ergebnis eines Kampfes, den die kongolesischen Männer und Frauen mit Blut und Tränen gewonnen haben. Er ging auf alle von König Leopold und den Belgiern im Kongo begangenen schweren Verbrechen ein und kam zu dem Schluss, dass die Kongolesen nun bereit seien, die enormen Ressourcen ihres Landes zu nutzen, um eine wohlhabende Nation in Afrika zu schaffen.
Westliche Medien und Führer geißelten die Rede, erwähnten aber nicht die beleidigenden Worte des belgischen Königs. In diesen Kreisen wurde Lumumbas Rede zum Hauptbeweisstück für „geistige Instabilität“, „Emotionalismus“, „kommunistische Neigungen“ und weitere negativen Dinge herangezogen. All dies nur, weil er die Interessen der kongolesischen Bevölkerung über die Interessen westlicher Unternehmen und weißer Siedler gestellt hatte. Letztere hatten die Ressourcen des Kongo geplündert, ohne sich um die Beseitigung der Armut und die Verbesserung der Lebensbedingungen der einfachen Leute zu bemühen.
Unter dem Druck westlicher Regierungen, insbesondere Belgiens, der USA, Großbritanniens und Frankreichs, benutzte Kasavubu einen obskuren Artikel in der provisorischen Verfassung, um Lumumba am 5. September 1960 aus dem Amt zu entlassen. Der Premierminister hatte zu dem Zeitpunkt die Mehrheit beider Parlamentskammern hinter sich, die die Entlassung ablehnten. Angesichts dieses Widerstands gegen eine illegale und unrechtmäßige Handlung vollendete Oberst Joseph-Désiré Mobutu, ein ehemaliger Helfer Lumumbas, aber auch ein Informant der belgischen und US-amerikanischen Geheimdienste, die von Kasavubu begonnene Aktion durch einen Staatsstreich am 14. September 1960. Die politische Eliminierung Lumumbas war nun erreicht. Seine Feinde befürchteten aufgrund der Popularität und politischen Fähigkeiten Lumumbas Rückkehr und waren davon überzeugt, dass er auch physisch eliminiert werden musste.
Der Kalte Krieg fand auch in Afrika statt
Am 27. November 1960, fünf Tage nachdem die UN-Generalversammlung die Aufnahme der Delegation seiner Regierung in das Weltgremium zugunsten der Delegation von Präsident Kasavubu abgelehnt hatte, beschloss Lumumba, Kinshasa zu verlassen. Er hatte dort seit dem Staatsstreich unter Hausarrest gelebt. Am 1. Dezember verhafteten ihn Mobutos Soldaten in Lodi, am linken Ufer des Sankuru-Flusses willkürlich und brachten ihn nach Kinshasa in die Militärgarnison Mbanza-Ngungu (damals Thysville). Am 17. Januar 1961 wurden Lumumba und seine beiden Schicksalsgenossen, der Jugendminister Maurice Mpolo und der Vizepräsident des Senats Joseph Okito, nach Lubumbashi (damals Elisabethville), der Hauptstadt der von Belgien regierten Sezessionsprovinz Katanga, überführt und von einem Exekutionskommando belgischer Soldaten und Polizisten in Katanga ermordet. Lumumbas Ermordung stand im globalen Kontext von nationalen Befreiungskämpfen und Kaltem Krieg.
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Im Fall des Kongo ging es um mehr als um die Interessen der ehemaligen Kolonialmacht. Die Konterrevolution, deren Opfer Lumumba wurde, betraf den gesamten afrikanischen Subkontinent von Katanga bis zum Kap der Guten Hoffnung. Bergbauunternehmen und weiße Siedler zögerten, ihre politische Kontrolle und wirtschaftlichen Privilegien abzugeben. Solange sie konnten, behielten sie die Macht, indem sie die westlichen Staaten davon überzeugten, dass sie deren wirtschaftliche und strategische Interessen besser schützen könnten als afrikanische Befreiungsbewegungen.
Darüber hinaus hatte Belgien den USA das Uranerz aus einer kongolesischen Mine zur Herstellung der ersten Atomwaffen angeboten. Folglich bezog Washington einen mehr oder weniger dauerhaften Anteil an den strategischen Mineralien des Kongo wie Uran, Kupfer, Kobalt (und nun auch Coltan und Seltene Erden). Während des Zweiten Weltkriegs hatten die USA, Großbritannien und Belgien erfolgreich verhindert, dass Deutschland Uran im Kongo erwarb. Als 1947 der Kalte Krieg begann, beschlossen Washington und die Mitglieder der NATO, ihren neuen Gegnern, der Sowjetunion und ihren Verbündeten, den Zugang zu den enormen natürlichen Reichtümern des Kongo zu verwehren. In der postkolonialen Zeit trauten die westlichen Verbündeten den afrikanischen Führern nicht zu, dass sie eine wirksame Kontrolle über ihre strategischen Rohstoffe sicherstellen würden, und befürchteten, dass diese in die Hände ihrer Feinde aus dem Kalten Krieg fallen könnten. In dieser Hinsicht wurde Patrice Lumumbas Entschlossenheit, eine echte Unabhängigkeit zu erlangen und die volle Kontrolle über die Ressourcen des Kongo zu erlangen, um sie zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung zu nutzen, als Bedrohung für die Sicherheit des Westens empfunden.
Verantwortlich für die Ermordung Lumumbas sind unter anderem US-Präsident Dwight D. Eisenhower, König Baudouin I. von Belgien, Kongos Präsident Kasavubu, Militärchef Mobutu und der separatistische Politiker Moïse Tshombe. Keiner von ihnen wurde für dieses Verbrechen jemals zur Rechenschaft gezogen. Einzig Belgien erkannte die Verantwortung für den Tod Lumumbas an, nachdem eine Untersuchungskommission des belgischen Parlaments 2001 einen Bericht vorgelegt hatte. Erst im September 2020 wurde eine neue parlamentarische Untersuchungskommission eingesetzt, um die gesamte Geschichte der belgischen Herrschaft im Kongo seit dem sogenannten Kongo-Freistaat Leopolds II. zu untersuchen.
Lumumbas Kampf für die Befreiung des Kongo vom Kolonialismus, die Bewahrung seiner nationalen Einheit und Souveränität sowie seine Rolle als Vorreiter bei der wirtschaftlichen Integration und Entwicklung Afrikas und als Leuchtturm der panafrikanischen Solidarität bleiben eine wichtige Inspirationsquelle für die Menschen in der Demokratischen Republik Kongo (DRK). In ganz Afrika ist Lumumba weiterhin populär. Sein Vermächtnis bleibt in Straßennamen und anderen Formen der Erinnerung lebendig.
Aus dem Englischen von Tobias Lambert.
Georges Nzongola-Ntalaja ist Professor für Afrikanische und Globale Studien an der Universität von North Carolina in Chapel Hill.
Georges Nzongola-Ntalaja ist Professor für Afrikanische und Globale Studien an der Universität von North Carolina in Chapel Hill.