Südlink-Magazin

Gegen Moral Distancing

In Zeiten von Corona ist ein Lieferkettengesetz dringlicher denn je

von Johannes Schorling
Veröffentlicht 15. SEPTEMBER 2020

Die Coronapandemie zeigt: Globale Lieferketten sind häufig fragil, und in Krisenzeiten trifft es die schwächsten Glieder am Anfang der Kette am härtesten. Nachdem die deutsche Wirtschaft beim Menschenrechtstest der Bundesregierung erneut durchgefallen ist, könnte es zum Durchbruch für das Lieferkettengesetz kommen. Doch es bleiben Widerstände und offene Fragen.

Eine Lehre der letzten Monate lautet: Die soziale Ungleichheit geht auch in Coronazeiten nicht in Quarantäne. Die Pandemie hat viele Menschen in Deutschland hart getroffen. Noch dramatischer ist jedoch häufig die Lage in Ländern des globalen Südens, wo die Mehrheit der Menschen keinen Zugang zu sozialen Sicherungssystemen hat. So zeigen sich die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie am Anfang globaler Lieferketten besonders drastisch.

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In Ländern wie Bangladesch, Kambodscha, Indien und Myanmar verloren Millionen von Arbeiter*innen in der Bekleidungsindustrie durch die Schließung von Fabriken im März ihren Job und hatten so keinerlei Einkommen mehr. Unsere indische Partnerorganisation CIVIDEP berichtete von zehntausenden Wanderarbeiter*innen, die mittellos und ohne Bleibe in Bahnhöfen strandeten, als der Bus- und Bahnverkehr im ganzen Land eingestellt wurde und sie nicht mehr in ihre Dörfer zurückkehren konnten. Gleichzeitig stornierten europäische Modekonzerne Aufträge in Milliardenhöhe und verweigerten die Zahlung selbst für bereits produzierte oder in der Herstellung befindliche Ware. Diese Stornierungen wurden nach massiven Druck zwar teilweise zurückgenommen, doch noch immer fordern manche Unternehmen einen Preisnachlass oder verschieben die Bezahlung.

Auch im Kakaoanbau in Westafrika sind die Folgen von Corona spürbar: Die Nachfrage nach Kakao auf dem Weltmarkt ist eingebrochen, der Kakaopreis zwischen Februar und Juni um rund 20 Prozent gefallen. Gleichzeitig haben die Kakaobauernfamilien höhere Kosten, weil die Lebensmittelpreise in Folge der Pandemie gestiegen sind. Dies und die Schließung der Schulen haben in der Elfenbeinküste laut der industrienahen International Cocoa Initiative (ICI) zu einem Anstieg der Kinderarbeit um 21 Prozent geführt.

Die Coronapandemie zeigt damit auch die Schwächen der Globalisierung, wie sie derzeit dominiert. Durch die Verteilung von Produktionsschritten über den ganzen Globus aus Kostengründen und durch „Just-in-Time“-Produktion, um Lagerkapazitäten zu sparen, sind Lieferketten deutlich krisenanfälliger geworden. „Plötzlich wird insbesondere Firmen in der Pharma-, Textil- und Techindustrie bewusst, dass ihre Werkbänke in Asien nicht nur schön billig sind, sondern auch hässlich weit weg“, schreibt etwa die WirtschaftsWoche. Die Forderung nach „resilienten“ Lieferketten ist deshalb zurzeit in aller Munde: Lieferketten sollen verkürzt und weniger verwundbar werden. Unternehmen denken darüber nach, Produktionsschritte in ihre Heimatregionen zurückzuverlagern, und bessere Risikomanagement-Systeme aufzubauen.

Durchbruch für das Lieferkettengesetz?

Diese dürfen sich jedoch nicht nur auf Geschäftsrisiken beschränken, sondern müssen auch Menschenrechts- und Umweltrisiken einschließen. Es darf nicht sein, dass Unternehmen in Zeiten der Krise „Moral Distancing“ betreiben und keinerlei Rücksicht auf die Menschen am anderen Ende der globalen Wertschöpfung nehmen. Es ist Zeit für ein Lieferkettengesetz – nicht trotz, sondern gerade auch wegen Corona.

Und tatsächlich: Nachdem das Lieferkettengesetz wegen der Krisenbewältigung zwischenzeitlich unter die Räder zu geraten drohte, hat die Debatte in den letzten Monaten neuen Aufwind bekommen. EU-Justizkommissar Didier Reynders hat angekündigt, im kommenden Jahr auf europäischer Ebene einen Vorschlag für eine Regulierung vorzulegen. Auch in der Union bröckelt der Widerstand: Erst machte CDU-Fraktionsvize Hermann Gröhe Druck für ein Lieferkettengesetz, dann sprach sich auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt für ein Gesetz noch in dieser Legislaturperiode aus.

Im Juli präsentierten Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) schließlich die Ergebnisse der zweiten Unternehmensbefragung im Rahmen des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Nachdem die deutsche Wirtschaft schon beim ersten Menschenrechtstest krachend gescheitert war, fiel das Ergebnis auch in der zweiten Runde kaum besser aus: Nur 22 Prozent der großen deutschen Unternehmen, die sich überhaupt an der Befragung beteiligt haben, halten sich freiwillig an menschenrechtliche Standards. Und das, obwohl die Wirtschaftslobby im Vorfeld alles daran gesetzt hatte, die Anforderungen zu verwässern.

Angesichts dieses blamablen Ergebnisses führt an einer gesetzgeberischen Verantwortung kein Weg mehr vorbei – so sieht es auch der Koalitionsvertrag vor. Und tatsächlich kündigten die Minister Heil und Müller an, im August Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz ins Kabinett zu bringen, damit das Gesetz noch in dieser Wahlperiode beschlossen werden kann.

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Zu den stärksten Blockierern gehört neben den Arbeitgeberverbänden Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Bisher konnte sich Altmaier auf die Rückendeckung durch Angela Merkel verlassen. Doch Mitte Juli stellte sich die Bundeskanzlerin erstmals öffentlich hinter ein Lieferkettengesetz. Altmaier und die Wirtschaftsverbände spielen vor allem auf Zeit – und werden in den kommenden Monaten nichts unversucht lassen, ein Lieferkettengesetz so weit wie möglich zu verwässern, wenn nicht sogar noch ganz zu verhindern.

Damit rückt die Frage nach den Details einer Gesetzgebung immer mehr in den Mittelpunkt. In einem öffentlich bekannt gewordenen Papier aus dem Arbeits- und dem Entwicklungsministerium heißt es zum Beispiel, dass die Beweislast bei Schadensersatzklagen ausschließlich bei den Kläger*innen liegen soll. Die Initiative Lieferkettengesetz kritisiert, dass es Betroffenen so kaum gelingen wird, Unternehmen eine Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten nachzuweisen, da ihnen der Einblick in unternehmenseigene Vorgänge fehlt und sie diesen bei fehlenden Offenlegungsansprüchen auch nicht erlangen können. Die Initiative fordert deshalb eine Beweislastumkehr oder zumindest eine Beweiserleichterung.

Nach dem Abschluss des NAP-Monitorings und der Unterstützung von Bundeskanzlerin Merkel steht also fest: Wir sind einen großen Schritt weitergekommen. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel.

Johannes Schorling ist Referent für Wirtschaft und Menschenrechte bei INKOTA und Mitglied im Steuerungskreis der Initiative Lieferkettengesetz.

Johannes Schorling ist Referent für Wirtschaft und Menschenrechte bei INKOTA und Mitglied im Steuerungskreis der Initiative Lieferkettengesetz.

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