Einfach anders essen?
Ein Plädoyer für Engagement jenseits von Einkaufs- und Wahlzettel
Ein Kernelement nachhaltiger Ernährungssysteme sind pflanzenbasierte Ernährungsweisen. Gemeinwohlorientierte Konsument*innen sind derzeit die Treiber des Wandels, der in den Supermarktregalen bereits zu erahnen ist. Doch ohne politische Maßnahmen wird der Wandel an Grenzen stoßen. Damit Politik handeln kann, muss die Zivilgesellschaft mithelfen.
Im globalen Norden muss sich die Ernährung tiefgreifend ändern, damit sie gerechter wird; gerechter gegenüber künftigen Generationen, deren ökologische Lebensgrundlagen durch die derzeitige Ernährung beeinträchtigt werden; den Konsument*innen, für die es schwer ist, sich gesund und pflanzenbasiert zu ernähren; den Nutztieren, die zu oft auf ihren ökonomischen Wert reduziert und teilweise in qualvollen Bedingungen gehalten werden; den Wildtieren und Wildpflanzen, die wegen der räumlichen Ausdehnung und Intensivierung der Landwirtschaft verdrängt oder gar ausgerottet werden; den Menschen, deren Arbeit in der Landwirtschaft zu gering entlohnt wird; und gegenüber Menschen im globalen Süden, die unter dem Klimawandel und der Ressourcenbeanspruchung der reichen Länder leiden.
Es gibt keinen Königsweg, um in all diesen Dimensionen auf einen Streich sämtliche Missstände zu beheben, jedoch führen auch nicht alle Wege gleichermaßen ans Ziel. Eine Schlüsselrolle kommt einem verträglichen Ausmaß der Tierhaltung und damit pflanzenbasierten Ernährungsweisen zu, denn sie ermöglichen Verbesserungen in fast allen der eingangs genannten Dimensionen.
Eine der wichtigsten Aufgaben dieser Dekade ist es, das Wahrwerden der dramatischsten Szenarien des Klimawandels zu verhindern. Die Wissenschaft deutet darauf hin, dass ohne Mäßigung des Konsums tierischer Lebensmittel die Pariser Klimaziele nicht erreichbar sind (siehe Infobox). Durch ihren höheren Flächenbedarf trägt sie zudem maßgeblich zur Ausdehnung und Intensivierung der Landwirtschaft bei, und damit zum Artenschwund – den aufzuhalten eine weitere der zentralen Menschheitsaufgaben dieser Dekade ist.
Stärker pflanzenbasierte Ernährungsweisen öffnen dringend benötigte Handlungsspielräume: zum Beispiel für die Wiedervernässung von Niedermooren, für extensivere Landnutzung wie den Ökolandbau und Agroforstsysteme und für Wildnis.
Viele Menschen und Unternehmen haben das verstanden, und die Vorboten einer „stillen pflanzlichen Revolution von unten“ lassen sich bereits an vielen Orten entdecken: Immer mehr Menschen trinken Haferdrinks und probieren sich durch das sich stetig ausweitende Angebot an Scheinkäse oder Veggieburger. Fleischunternehmen scheinen heute ohne das gewisse grüne Etwas in der Produktpalette kaum noch auszukommen. Aber genügt das? Können gemeinwohlorientierten Konsument*innen die flächendeckende Ernährungswende bewirken?
Keine Frage, die Nachfrage nach pflanzlichen Fleisch- und Milchalternativen hat wichtige Veränderungen im Supermarktregal und in der Ernährungsindustrie angestoßen. Die weitreichende Transformation des Status quo kann letztlich jedoch nur im Zusammenspiel mit anderen Kräften gelingen. Denn die Wirkung gemeinwohlorientierter Konsument*innen kommt an verschiedene Grenzen, über die insbesondere die Politik dem Wandel hinweghelfen muss. Sonst werden lediglich grüne Spezialsegmente und Nischen im Ernährungssystem herausgebildet, die an der Verfasstheit des Mainstreams und damit an den eingangs aufgelisteten Problemen nur wenig zu ändern vermögen.
Eine dieser Grenzen sind jene Bevölkerungsmehrheiten, die aus unterschiedlichen Gründen ihren Konsum tierischer Lebensmittel nicht auf ein nachhaltiges Maß reduzieren. Umweltpolitisch begründete Ernährungspolitik ist keine „Bevormundung“ mündiger Bürger*innen, sondern dient dem Schutz der Rechte künftig und weit entfernt Lebender. Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (WBAE) hat in seinem 2020 erschienen Gutachten überzeugend begründet, dass ernährungspolitische Interventionen nicht nur legitim, sondern geboten sind. Das Gutachten zeigt auf, dass Ernährungsumgebungen einen großen Einfluss darauf haben, was gegessen wird. Hier stoßen Konsument*innen an eine zweite Grenze – etwa wenn es kein schmackhaftes vegetarisch-veganes Angebot in der Kantine gibt. Eine dritte Grenze des gemeinwohlorientierten Konsums sind die Schweinefleisch- und Milchmengen, die für den Export hergestellt werden.
Vorschläge für politisches Handeln
Ideen für eine nachhaltige Agrarpolitik sind bereits seit Jahrzehnten im öffentlichen Diskurs, aber bisher – so auch bei der aktuellen Reform der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik – wird das Ausmaß der Nutztierhaltung nicht infrage gestellt. Zur Finanzierung einer besseren Tierhaltung hat die Borchert-Kommission unter anderem eine Verbrauchssteuer von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und 15 Cent pro Kilogramm Käse, Butter und Milchpulver erwogen. Der WBAE hat Vorschläge zur Verringerung des Konsums tierischer Produkte vorgelegt.
Warum die Zukunft pflanzenbasiert isst
- Das globale Ernährungssystem ist für 21-37% der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich (IPCC Sonderbericht Klimawandel und Landsysteme, 2019)
- Allein die Treibhausgasemissionen des Ernährungssystems könnten die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels verhindern (Clark et al., 2020: Global food system emissions could preclude achieving the 1.5° and 2°C climate change targets. Science)
- Tierische Lebensmittel verursachen in der Regel deutlich höhere Treibhausgasemissionen als pflanzliche Lebensmittel (IFEU 2020: Ökologische Fußabdrücke von Lebensmitteln und Gerichten in Deutschland) – auch wenn der Vergleich auf den Proteingehalt bezogen wird (Vgl. Our World in Data: Greenhouse gas emissions per 100 grams of protein)
- Rund 60% der Treibhausgasemissionen der in Deutschland verzehrten Lebensmittel stammen aus tierischen Lebensmitteln (Springmann, in Vorbereitung, im Auftrag des Umweltbundesamts)
- Nemecek & Poore zufolge werden 83 Prozent des globalen Ackerlands für die Erzeugung tierischer Lebensmittel genutzt, wobei diese nur 37 Prozent der globalen Proteinversorgung und 18 Prozent der globalen Kalorienversorgung bereitstellen (Nemecek & Poore, 2018: Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers. Science)
- Das Öko-Institut hat errechnet, dass Deutschland ohne Reduktion der Tierbestände sein Klimaziel in der Landwirtschaft nicht erreicht (Öko-Institut, 2019: Quantifizierung von Maßnahmenvorschlägen der deutschen Zivilgesellschaft zu THG-Minderungspotenzialen in der Landwirtschaft bis 2030)
- Die Planetary Health Diet der EAT-Lancet-Kommission ist gesund und im Rahmen der ökologischen planetaren Grenzen für alle rund zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 realisierbar (Willet et al., 2019: Food in the Anthropocene)
Es liegen also wissenschaftlich untermauerte Gründe und erste Vorschläge für politisches Handeln vor. Dennoch bleibt die Politik untätig. Es wird nicht einmal laut ausgesprochen, dass es notwendig ist, die Nutztierbestände sowie den Konsum tierischer Produkte zu reduzieren. Mitunter werden gar aktiv die Interessen der Fleischindustrie und der Milchproduzenten geschützt, indem die Bezeichnung pflanzlicher Getränke als Milch untersagt wird und jetzt sogar Produktaufschriften wie „sahnig“ oder „wie Joghurt“ unter Beschuss stehen.
Für die unterlassene politische Hilfeleistung beim dietary shift gibt es schlechte Gründe wie das unangemessen geringe institutionelle Gewicht umweltpolitischer Belange in der Agrarpolitik. Es gibt aber auch Gründe, die besonnenes Vorgehen nahelegen. Dazu gehört, dass Maßnahmen zur Verringerung des Fleisch- und Milchkonsums die Politikverdrossenheit eines Milieus vergrößern könnten, das derzeit ohnehin nicht gut auf die klassischen Parteien zu sprechen ist. Ein zweiter ist die Unwägbarkeit des Medienechos. Eine Neuauflage des Veggie-Day-Desasters ist nicht auszuschließen. Politische Weitsicht und Mut werden leider nicht immer belohnt.
Diese Hindernisse sind allerdings veränderbar und dürfen nicht als Rechtfertigung für das Unterlassen von wirksamer Ernährungspolitik benutzt werden. Wir sehen die Politik in der Pflicht, die Bedingungen für wirksame Ernährungspolitik zu verbessern, indem sie dafür sorgt, das Wissen über die Bedeutung der Ernährung für existenzielle globale Herausforderungen zum Allgemeinwissen zu machen. Dieses Hintergrundwissen kann nicht durch Labeling erreicht werden, hier braucht es systematische Ernährungsbildung.
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Es wäre aber zu kurz gedacht, nur der Politik die Verantwortung zu zuschreiben. Die Kontroverse, ob Landwirt*innen oder Konsument*innen oder Politiker*innen die Verantwortung tragen, wird der Verwobenheit der Akteure nicht gerecht. Ihre Handlungsfähigkeit steht in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Wenn sich die anderen Parteien nicht bewegen, hat der jeweils dritte wenig Spielraum.
Eine Transformation ist eine Folge von ineinandergreifenden Dynamiken auf unterschiedlichen Ebenen und Zeitskalen, die sich in eine bestimmte Richtung verdichten. Ob beispielsweise die Politik gesetzliche Rahmen spürbar verändern kann, hängt auch davon ab, welche Bedingungen die Gesellschaft dafür schafft.
Wenn die Menschen in ihren vielfältigen Rollen (als Ärztinnen, als Väter, als Journalisten usw.) einen solchen Wandel nicht stützen und einfordern, kann man nicht erwarten, dass die Politik ihn mit „harten“ Maßnahmen durchsetzt – so gut die Ziele auch ethisch gerechtfertigt sind. Und umgekehrt können mächtige Profiteure des Status quo die Transformation nicht verhindern, wenn die Veränderungskräfte groß genug sind. Daher sollten sich Pioniere des Wandels in ihrem konkreten Lebensumfeld gründlich nach Ansatzpunkten umsehen, Mitmacher*innen suchen und so eine weitere Mikroveränderung der Gesamtbewegung erzeugen.
Die Veränderungen müssen sich allerdings in eine bestimmte Richtung verdichten. Und hier schließt sich der Bogen unseres Beitrags: Denn umtriebiger Aktivismus bunter Initiativen könnte sein Ziel der Transformation verfehlen, wenn die Richtungen ihres Strebens zu divers sind. Da pflanzenbasierte Ernährungsweisen häufig erst die Voraussetzung für nachhaltigeres Landwirtschaften schaffen, wären sie unseres Erachtens dafür die erste Wahl.
Anne Klatt und Almut Jering arbeiten im Umweltbundesamt zu den Themen Bioökonomie, nachhaltige Ernährungssysteme und Ressourcenschonung. Dieser Text gibt die persönlichen Gedanken der Autorinnen wider, die nicht mit der Auffassung des Umweltbundesamtes übereinstimmen müssen.
Anne Klatt und Almut Jering arbeiten im Umweltbundesamt zu den Themen Bioökonomie, nachhaltige Ernährungssysteme und Ressourcenschonung. Dieser Text gibt die persönlichen Gedanken der Autorinnen wider, die nicht mit der Auffassung des Umweltbundesamtes übereinstimmen müssen.