Das Bitcoin-Paradies
El Salvadors Präsident möchte sein Land zum Panama der Kryptowährungen machen – eine riskante Strategie, die auf Geldwäsche und spekulatives digitales Kapital setzt.
Seit September ist der Bitcoin offizielles Zahlungsmittel in El Salvador. Von Präsident Nayib Bukele massiv vorangetrieben, stößt die Kryptowährung in der Bevölkerung auf deutliche Ablehnung. Auch renommierte Ökonom*innen warnen vor der digitalen Währung, deren Wert zu großen Schwankungen unterworfen ist und kaum kontrolliert und reguliert werden kann. Dies allerdings könnte ein wichtiger Grund sein, weshalb der Präsident auf Bitcoins setzt.
Im Juni überraschte Nayib Bukele, der erst 40-jährige Präsident El Salvadors, die internationale Bitcoin-Gemeinde und die eigene Bevölkerung mit einer Video-Nachricht von der „Bitcoin 2021 Conference“ in Miami. Als weltweit erste Nation versprach das kleine zentralamerikanische Land die bisher wichtigste und bekannteste Digital-Währung als legales Zahlungsmittel einzuführen. In Windeseile segnete das von seiner Partei Nuevas Ideas kontrollierte Parlament das sogenannte Bitcoin-Gesetz ab. Nach nur drei Monaten Vorbereitung führte das seit 2001 dollarisierte Land am 7. September den Bitcoin als zweites legales Zahlungsmittel ein.
Damit schafft El Salvador die bis dato einzigartige Situation gleich über zwei seiner legalen Zahlungsmittel keine Kontrolle zu haben: Während der US-Dollar von der Zentralbank der USA kontrolliert wird, kommt der Bitcoin gleich ganz ohne Staat aus. Dank seiner Blockchain-Technologie werden Transaktionen dezentral organisiert und die Ausgabe neuer Zahlungseinheiten über den enormen Energieverbrauch knapp gehalten, der bei der „Prägung“ neuer digitaler Münzen anfällt. Bitcoin-Jünger feiern diese Technologie als revolutionäre Befreiung von staatlicher Manipulation und Einflussnahme.
Während viele Anhänger*innen der Digitalwährung Bukele als Visionär einer finanziellen Avantgarde feiern, kann kaum ein*e seriöse*r Wirtschaftswissenschaftler*in dem Experiment Positives abgewinnen. Der über verschiedene politische Lager hinweg respektierte Harvard-Ökonom Dani Rodrik hat es prägnant in einem Tweet zusammengefasst: „Ein Land, das in einem verrückten Geldsystem gefangen ist (Dollarisierung), wählt ein noch verrückteres System, indem es Bitcoin zum legalen Zahlungsmittel macht“ (Übersetzung des Autors), schreibt Rodrik und fragt sich, wie das wohl gut ausgehen könne. Seine hohe Volatilität macht ihn für den Alltagsgebrauch nicht nur unattraktiv, sondern auch gefährlich. Denn der Bitcoin ist vor allem eine spekulative Anlageform: Wie im Casino sind hohe Gewinne möglich, aber eben auch hohe Verluste. Das verträgt sich schlecht mit dem wirtschaftspolitischen Ziel von makroökonomischer Stabilität als Grundlage für die Verlässlichkeit von Investitionen und langfristigem Wachstum.
Wenn Ökonomen keine Argumente liefern können für die Einführung des Bitcoin als legales Zahlungsmittel, was treibt Bukele dann an? Eine offizielle Begründung ist die Vereinfachung von Zahlungen für all jene, die keinen Zugang zum formalen Bankensystem haben. Demnach kann, wer über ein Smartphone verfügt, am globalen Zahlungsverkehr teilhaben. Vor allem das Senden der sogenannten Remittances, den Überweisungen der über zwei Millionen Migrant*innen mit salvadorianischen Wurzeln vor allem in den USA – die über 20 Prozent des Bruttosozialprodukts El Salvadors ausmachen –, soll einfacher und billiger werden.
Verrat an der Idee des Bitcoin
Dieses offizielle Argument ist aus mindestens drei Gründen fadenscheinig: Erstens fallen weiterhin Transaktionskosten an, wenn US-Dollar zunächst in Bitcoin und dann wieder zurück in US-Dollar getauscht werden müssen. Zweitens bedarf es im Prinzip keiner staatlichen Erlaubnis, um internationale Geldsendungen per Bitcoin durchzuführen. Denn genau darin liegt ja die Besonderheit der Bitcoin: Sie funktionieren ohne staatliche Legimitation. Damit besteht schon in der Einführung des Bitcoin als legales Zahlungsmittel als solches ein Widerspruch zur libertären Ideologie des Bitcoin.
Die Idee des Bitcoins wird in dem Moment verraten, in dem seine Akzeptanz staatlich verordnet wird. Drittens ist finanzielle Inklusion sehr viel mehr, als globale Zahlungen in digitaler Währungen abschließen zu können. Viel wichtiger für ärmere Haushalte ist der Zugang zu sicheren Sparoptionen, Krediten zu vernünftigen Konditionen und grundlegenden Versicherungsprodukten. Es grenzt an Zynismus, den Zwang, Zahlungen in einer spekulativen Vermögensform entgegennehmen zu müssen, als finanzielle Inklusion zu verkaufen.
Deutlich plausibler ist es, dass Bukele mit dem Bitcoin-Gesetz vor allem digitales Geld anlocken möchte und dabei den Standortvorteil als dollarisiertes Land ausspielt, das El Salvador besonders attraktiv für Geldwäsche macht. Durch die verordnete Akzeptanz der Kryptowährung als prinzipiell gleichberechtigtes Zahlungsmittel neben dem US-Dollar können die digitalen tokens bequem in US-Dollar oder reale Vermögenswerte – zum Beispiel Immobilien – getauscht werden.
Ungeachtet der damit verbundenen technischen Schwierigkeiten sind allzu viele Nachfragen von Seiten lästiger Regulierungsbehörden nicht zu befürchten. Der salvadorianische Staat wird kein großes Interesse daran haben, den Ursprung pseudonymer Zahlungsströme ernsthaft nachzuverfolgen. Stattdessen wirbt Bukele offensiv um das Bitcoin-Paradies in den Tropen, das er mit Aufenthaltstiteln für all jene versüßt, die mindestens drei Bitcoin (aktuell mehr als 160.000 US-Dollar) im Land investieren.
Für ein kleines Land ohne nennenswerte industrielle Produktion, das vor allem auf die Überweisungen seiner Migrant*innen angewiesen ist, könnte die Strategie durchaus funktionieren. Es wäre ein Modell von „Entwicklung“ dass nicht auf die wirtschaftliche Ermächtigung benachteiligter Gruppen abzielt, sondern darauf hofft im Schattenreich des globalen Kapitalismus eine profitable Nische zu finden – ähnlich wie es Panama geschafft hat, sich als wichtigen Standort im globalen Finanzmarkt zu etablieren.
Dieser Traum von einem Panama für Kryptowährungen ist allerdings eine riskante Wette: Je wichtiger Bitcoin werden, je wahrscheinlicher werden stärkere Regulierungen in anderen Ländern und auf globaler Ebene. Solche Maßnahmen könnten einerseits die Attraktivität des Bitcoin als Währung außerhalb staatlicher Kontrolle mittelfristig untergraben. Erst Ende September hatte China alle Transaktionen in Kryptowährungen als illegal erklärt und angekündigt, dem Schürfen neuer Bitcoins ein Ende zu setzen. Andererseits würde sich der Druck auf El Salvador erhöhen, Geldgeschäfte mit der Kryptowährung stärker zu kontrollieren oder gar ganz zu unterbinden.
Möglichkeiten ein kleines und international abhängiges Land wie El Salvador unter Druck zu setzen, gibt es viele. Dafür muss nicht gleich der empfindliche Nerv des fragilen Aufenthaltsstatus vieler Salvadorianer*innen in den USA ins Spiel gebracht werden. Ein erschwerter Zugang zu den Krediten von IWF und Weltbank sowie das Aussetzen anderer finanzieller Hilfen sind effektive Mittel, um Druck auf ein unkooperatives Land auszuüben. Darüber hinaus könnten die USA dem Land auch den Dollarhahn abdrehen – so wie es Präsident Ronald Reagan 1988 mit dem ebenfalls dollarisierten Panama unter Manuel Noriega tat, als er die Dollarkonten Panamas in den USA einfror und so (erfolgreich) Druck auf die Regierung ausübte.
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Die Menschen in El Salvador wurden nicht gefragt, ob sie die Zukunft ihres Landes auf den Bitcoin verwetten wollen. Die spärlichen Informationen zur Einführung des Bitcoin hat der Präsident größtenteils auf Englisch und über Twitter verbreitet – und ließ das eigene Volk im Dunkeln. Umfragen wie eine der Tageszeitung La Prensa Gráfica zeigen, dass die meisten Salvadorianer*innen den Bitcoin ablehnen: 65 Prozent sehen das Bitcoin-Gesetz negativ, nur 23 Prozent begrüßen die Initiative.
Der autoritäre Umbau El Salvadors
Zwar ist Bukele weiterhin enorm populär, doch hat seine Beliebtheit Kratzer bekommen. Nicht nur weil die Einführung mehr als holprig verlief: Die staatliche Chivo App für Bitcoin-Transaktionen ließ sich auf vielen Plattformen nicht installieren. Zudem hatten sich viele mit falschen Identitäten registriert, um das Startgeschenk der Regierung von 30 US-Dollar für das Installieren der App zu bekommen. Nach zwei Tagen war dessen Wert auf 28 US-Dollar gesunken, weil der Bitcoin-Kurs gefallen war, und damit auch der Wert der mehreren Hundert Bitcoin, welche die Regierung zur Einführung gekauft hatte.
Vielen Salvadorianer*innen scheint zu dämmern, dass sie mit Bukele ein politisch und wirtschaftlich gefährliches Experiment eingegangen sind. Bukele hat in der Rekordzeit von nur zwei Jahren die Gewaltenteilung und demokratische Kontrollmechanismen abgeschafft. Er treibt den autoritären Umbau des Staates in einem Tempo voran, der Daniel Ortega in Nicaragua blass erscheinen lässt. Bukele hat etwa ein Drittel der Richter*innen abbestellt und gesetzeswidrig die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes mit regierungstreuen Jurist*innen besetzt, die ihm – verfassungswidrig – seine Wiederwahl erlaubt haben.
Die Zusammenarbeit mit der “Internationalen Kommission gegen Straffreiheit und Korruption in El Salvador“ (CICIES), die er erst vor zwei Jahren gemeinsam mit der Organisation Amerikanischer Staaten gegründet hatte, hat er aufgekündigt. Auch Journalist*innen und andere Kritiker*innen geht der cholerische Präsident aggressiv an und hat willkürliche Polizeieinsätze und Einschüchterungen gegen sie ermutigt und toleriert. So wurde zum Beispiel der junge IT-Experte Mario Gomez, der in den sozialen Medien sehr präsent ist, kurzfristig festgesetzt, mutmaßlich weil er die Einführung des Bitcoin zu sehr kritisiert hatte.
Angesichts dieser institutionellen Entwicklungen könnte noch ein weiterer Aspekt des Bitcoin relevant werden: Er macht es der Regierung leichter, ihre eigenen Transaktionen vor den kritischen Augen der Öffentlichkeit zu verheimlichen. Am 15. September, dem Jahrestag der Unabhängigkeit, haben Tausende Salvadorianer*innen gegen Bukeles Autoritarismus demonstriert, ein weiterer großer Protestmarch folgte im Oktober. Trotz der wachsenden Kritik hat Bukele weiterhin Zustimmungsraten, auf die andere Regierungschefs neidisch sein können. Geht das Experiment des digitalen Zahlungsmittels schief, könnte der unpopuläre Bitcoin der Auslöser sein, die Stimmung in El Salvador kippen zu lassen.
Christian Ambrosius ist Ökonom am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin und arbeitet seit vielen Jahren zu den Themen Migration, Entwicklung und Finanzmärkte.
Christian Ambrosius ist Ökonom am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin und arbeitet seit vielen Jahren zu den Themen Migration, Entwicklung und Finanzmärkte.